Artikel von Christiane Eichenberg

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Die virtuelle Couch

Selbsthilfe, Beratung und Therapie im Internet.Surfer treffen Gleichgesinnte und tauschen sich aus – nicht über Kanarienvögel, sondern auch ihre Alkoholsucht, Depressionen und Impotenz. Wer in einer BODYTEL psychischen Krise steckt sich mit Hilfe der Maus ein wenig aus dem Sumpf ziehen. Selbst professionelle therapeutische Hilfe findet sich im Internet

Die Online-Selbsthilfegruppe ist fassungslos. Bisher versuchten die Teilnehmer, sich bei ihren Alkoholproblemen mitfühlend zu unterstützen. In einer Email gesteht jetzt aber Larry Froistad, ein 29jähriger Programmierer aus San Diego, das Haus angezündet zu haben, in dem sein Kind schlief. Die Fünfjährige starb dabei. Zudem beichtet er seine Motive: ‘Mit ihrem Tod konnte sie mich von den gemeinen Attacken ihrer Mutter befreien, nachdem ich nach der Scheidung von ihr das Sorgerecht erhalten hatte.’

Nachdem Froistad erfährt, daß drei Teilnehmer der Selbsthilfegruppe die Tat gemeldet haben, gesteht er der Polizei alles. Die Gruppe reagiert darauf gespalten. Einige sind erbost über sein Geständnis in der Liste und fühlen sich dadurch in seine Tat involviert. Andere äußern ihre Betroffenheit und bieten ihre moralische Unterstützung an. Es entsteht eine Diskussion, ob die drei Gruppenmitglieder das Recht hatten, Froistad anzuzeigen. Ist eine Selbsthilfegruppe im Internet nicht ein geschützter Raum, in dem sich die Mitglieder bedingungslos öffnen können? Sollten sie nicht sicher sein können, daß ihre Äußerungen dort vertraulich behandelt wer den?

Solche Gruppen sind nur ein Aspekt einer neuen Psychokultur im Internet. Mittlerweile bietet das Medium vielfältige Möglichkeiten, Unterstützung bei psychischen Problemen zubekommen. Selbsthilfe, Beratung und Therapie im Internet erleben einen Boom, auch unseriöse Angebote sind dabei. Der Cyberspace bietet eine Anonymität, die viele Hilfsbedürftige schätzen, und läßt sich unabhängig von Ort und Zeit nutzen. So ist ein breites Netzwerk entstanden, das Menschen in seelischer Not durch WWW-Seiten informiert, professionelle Beratung liefert oder auch nur eine Möglichkeit bietet, sich mit Leidensgenossen auszutauschen.

Einer flog übers Internet

Um zunächst einmal Informationen über psychische Erkrankungen zu finden, kann man sich kostenloser oder kommerzieller kostenpflichtiger Dienste bedienen. Das englischsprachige Angebot dominiert zwar deutlich, aber auch in Deutschland finden sich mittlerweile zuverlässige Informationsquellen. Einen guten und dazu kostenfreien Überblick gibt das seit Juli 1997 bestehende Kuckucksnest.

Diese ursprünglich private Web-Seite rund um seelische Nöte mittlerweile von einer ehrenamtlich geführten Online-Selbsthilfeorganisation getragen. Sie richtet sich vornehmlich an Menschen, die von einer psychischen Krise betroffen sind, und an ihre Angehörigen. Das inzwischen sehr umfangreiche Projekt bietet auch spezialisierte Angebote zu Themen wie Depression, Selbstmord, Eßstörungen, Schizophrenien und psychosomatische Leiden.

Auch über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und Psychopharmaka kann sich der Besucher im Kuckucksnest informieren; eine umfangreiche Link-Sammlung rundet das Angebot ab. Darüber hinaus haben einige Betroffene Erfahrungsberichte verfaßt – in ‘Tagebuch einer Psychose oder: Wie man verrückt wird’ schildert Bodo sein psychotisches Erleben, Marianne Kestler beschreibt in ihrem (bereits sehr bekannten) OnIine-Roman ‘Am Anfang war der Tod – Leben mit einer endogenen Depression’ ihren Leidensweg.

Das Kuckucksnest beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, Infos bereitzustellen, sondern bietet auch Erfahrungsaustausch: Zu bestimmten Zeiten kann man themenbezogen mit Leidensgenossen chatten oder in einem Diskussionsforum Fragen publizieren. Da lesen wir etwa die Nachricht eines Mannes, der sich möglicherweise erstmals im Cyber-Nest offenbaren will: ‘Vorerst will ich noch gar nicht viel erzählen.

Ich bin ein Mann, bin 45 Jahre alt, fühl mich noch wie 25 … Ach, scheißegal, dass muß erst mal reichen [für wen weiß ich allerdings auch nicht !!!] – ich habe geliebt, geliebt und nochmals geliebt in meinem Leben…, aber irgendwie hab’ ich wohl immer etwas falsch gemacht! Was ich mir wünsche ist eigentlich nur der Anfang eines ruhigen, aber wirklich an mich gerichteten Wortes! Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen oder schreiben [ und das war für mich schon verdammt viel]! Ich möchte nur eins: Das Gefühl haben, gehört worden zu sein! Bitte !!!’

Das Psychiatrienetz ist eine weitere wichtige und ebenfalls kostenlose Informationsquelle für Betroffene und Angehörige, aber auch für Psychoprofis. Im Gegensatz zum Kuckucksnest mit seinen privaten Wurzeln wurde das Psychiatrienetz vom Bonner Psychiatrieverlag und diversen psychiatrischen Verbänden aufgebaut, dem Bundesverband der Psychiatrie -Erfahrenen, Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie und anderen. Wie beim Kuckucksnetz betonen die Betreiber jedoch, daß ihr Angebot weder persönliche noch professionelle Hilfe ersetzt.

Es bietet beispielsweise Antworten auf häufig gestellte Fragen zu juristischen Problemen, Therapien, Diagnosen oder Psychopharmaka. Das Hilfenetz etwa stellt die Struktur der psychiatrischen Versorgung in Deutschland vor und gibt Informationen zu Psychoseseminaren. Die Bibliothek empfiehlt Bücher, Filme und Zeitschriften zum Thema. Aber auch Profis und wissenschaftlich Interessierte kommen nicht zu kurz – die Abteilung Forschung stellt neueste sozialpsychiatrische Forschungsergebnisse dar.

Psycho- News

Auch ein Teil der zigtausend Newsgroups kann Hilfe beim Psycho-StörfalI bieten. Deutschsprachige Gruppen kreisen dabei eher um allgemeine psychologische Themen, de.sci.psychologie etwa um die Fragen ‘Welche psychologische Bedeutung hat die Farbe blau?’ oder ‘Macht Arbeit frei’?

Englischsprachige Newsgroups haben eher Selbsthilfecharakter, insbesondere solche im Bereich alt.support. *, zum Beispiel alt.support.divorce, alt.support.depression oder alt.support.chronic-pain, Auch die Untergruppen von soc.support können helfen, etwa soc.support, loneliness. Genau wie in echten Selbsthilfegruppen steht in den Psycho-Newsgroups der Austausch unter Betroffenen im Vordergrund.

Man schildert die eigene Lebenssituation, stellt Fragen, läßt sich trösten oder ermutigen, informiert sich über Therapiemöglichkeiten oder informative Quellen im  schließt man sogar Freundschaften. Die größere Anonymität des Internet kann auch ein Vorteil sein: Die Teilnehmer einer virtuellen Selbsthilfegruppe können zunächst einmal völlig anonym Beiträge anderer lesen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen.

Schließlich haben viele Angst, sich vor einer Gruppe von Personen zu öffnen und ihre intimen Probleme mitzuteilen. Zudem erreichen Internet-Newsgroups auch Menschen, die überhaupt keine Selbsthilfegruppen in der Nähe haben, denen sie sich anvertrauen könnten. Newsgroups haben jedoch den Nachteil, daß alle abgelegten Beiträge gespeichert werden – über News-Suchmaschinen wie Dejanews können selbst nachfolgende Generationen noch die Enthüllungen der Altvorderen finden.

Statt Suizid

Für Karin Jäger, die seit 19 Jahren depressiv ist und oft an Selbstmord dachte, wurde die englischsprachige Newsgroups alt.suicide.holiday ein wichtiger Begleiter bei ihrer Genesung. Sie beschreibt ihre Erfahrungen im Austausch mit anderen Todessehnsüchtigen: ‘Nach ein paar Tagen und Nächten, die ich mit der Lektüre der Nachrichten verbrachte, wußte ich, daß ich hier richtig war.

Hier konnte ich zum ersten Mal meine Gedanken aussprechen, ohne Angst haben zu müssen, mich auf einer geschlossenen Station wiederzufinden. Und ich kann selbst entscheiden, wann ich wieviel Kontakt will. Ich kann selbst bestimmen, wann ich neue Mails herunterlade und wann ich sie lese. Eine größere Flüchtigkeit der Internet-Kontakte konnte sie nicht feststellen: ‘Das waren aufrichtigere und ehrlichere Beziehungen, als ich sie sonst vielfach erlebt hatte.

In alt.suicide.holiday wurde sehr stark Anteil am Leben der Teilnehmer genommen und getrauert, wenn einer aus der Gruppe für immer ging. Groß war die Sorge, wenn sich jemand ohne Begründung einige Zeit nicht meldete. Es gab große Betroffenheit, wenn sich einer wirklich umbrachte – und manchmal auch ein bißchen Neid, daß er oder sie den Mut dazu hatte.’ Trotz der großen Bedeutung, die diese Newsgroups für Karin Jäger hatte, betont sie jedoch, daß sie nur eine Ergänzung, keinen Ersatz für eine Therapie darstellte. Oft druckte sie Beiträge anderer Betroffener aus, in denen sie sich selbst wiederfand, um sie mit ihrem Therapeuten zu besprechen

Hilfe per Email

Mailinglisten richten sich meist an eine kleinere Gruppe als Newsgroups und gewähren ein gewisses Maß an Schutz vor Mitlesern. Oftmals handelt es sich um geschlossene Listen, die durch entsprechende Anmeldeprozeduren zu sicheren Kommunikationsräumen werden der Arbeitgeber kann dann nicht so einfach mitlesen. Durch den kleineren Teilnehmerkreis bildet sich schneller eine gewisse Vertrautheit.

Mittlerweile finden sich im Internet Selbsthilfe-Mailinglisten zuhauf: Depression, Angst, Zwänge, Drogen, Transsexualität und viele weitere Themen decken sie ab. Sehr belebt ist etwa die Mailingliste Angst-L, in der sich momentan um die 100 Angst- und Phobie-Betroffene austauschen. Unter den Teilnehmern sind jedoch auch viele passive Lurker, die sich aufs Konsumieren beschränken, denn nur rund ein Viertel der Mitglieder schreibt regelmäßig Beiträge für die Liste.

Dennoch können weit über 1000 Mitteilungen in einem Monat zusammenkommen. Winni ist seit einem Dreivierteljahr Mitglied dieser Mailingliste. Ihm tat der virtuelle Kontakt zu anderen Angstkranken besonders gut, weil die Email-Kommunikation für ihn die einzige Möglichkeit war, seinen Durst nach wirklichen Begegnungen mit Anderen ein Stück weit zu stillen. Denn er leidet unter einer Sozialphobie: Begegnungen mit anderen Menschen lösen panische Gefühle bei ihm aus.

Sich schriftlich mitzuteilen fällt ihm etwas leichter. Erst die Erfahrung, sich in Angst-L zu öffnen und mit Anderen in Kontakt zu treten, gab ihm den Mut, eine herkömmliche Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Trotzdem genießt er immer noch die größere Anonymität des Internet, wenn es um brisante Themen geht: ‘Durch meine sozialen Ängste fällt mir der Austausch in einer normalen Selbsthilfegruppe schwer. Themen, die mir wirklich nahegehen, kann ich dort nur selten mitteilen.

Auf der Liste fällt mir das wesentlich leichter. Ich stehe nicht unter Druck und kann mir für jede Antwort Zeit lassen. Ich kann tief in mich gehen und den Kern dessen hervorholen, was mich bewegt, was ich denke, was ich empfinde. Geschrieben kann ich mehr von mir preisgeben. Fassaden können wegfallen.’ Allerdings hinderten ihn seine Ängste bislang daran, an einem persönlichen Treffen teilzunehmen, das einige andere Teilnehmer der Liste organisiert hatten.

Sehr beliebt sind Selbsthilfe-Mailinglisten und Newsgroups zu sexuellen Themen wie Sexsucht, Transsexualität, sexueller Mißbrauch oder Elternschaft bei Lesben und Schwulen. Wer seine sexuellen Vorlieben und Probleme aus Scham oder aus Angst vor Diskriminierung eher geheim hält, kann sich oft erst in einer Online-Selbsthilfegruppe offenbaren und emotionalen Rückhalt finden.

Psychopage

Wer etwas zu sagen hat (oder auch nicht), tut dies auf seiner Homepage. Keine Qualitätskontrolle überwacht den Inhalt, kein Redakteur poliert die Sätze, und letztendlich finden vielleicht nurnwenige Leser den Weg dorthin. Auch psychisch Kranke wollen sich und ihre Krankheit im Internet darstellen. Auf ihren privaten Homepages teilen sie ihre Erfahrungen mit, öffnen ihr Gästebuch oder suchen Email-Kontakte.

So möchte zum Beispiel der 16jährige Fabian, derzeit in stationärer psychiatrischer Behandlung, seine Probleme öffentlich machen und Vorurteile über psychisch Kranke abbauen. Er schildert seine Ängste und hat sogar ein Tagebuch mit denkwürdigen Erlebnissen ins Internet gestellt.

Zunächst begrüßt er die Besucher seiner Homepage mit den Worten: ‘Willkommen beim Psychokid! Schön dich hier zu sehen! 😉 Wahrscheinlich bist du ein freundlicher, sympathischer Mensch, der auch gegenüber psychisch Kranken aufgeschlossen ist. Falls nicht, so hast du sie wohl selbst nicht mehr alle und suchst nach. Gleichgesinnten. Was natürlich, auch sein könnte: Du bist einer, dieser ‘Normalos’, die sich für das Maß aller Dinge halten. Das sind die, die dann besonders schlimm dran sind, wenn sie einmal in eine Krise kommen.

Für den Fall, daß du gekommen bist, um Dir hier einen abzulachen, so wünsche ich Dir so eine Krise von ganzem Herzen und tue dabei vielleicht sogar noch etwas Gutes. Man sollte nicht glauben, wie kreativ und hochphilosophisch Menschen in Krisensituationen sein können. Doch nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Selbsthilfegruppen gehen mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit, etwa das Psychiatrie-Efahrenen-Netzwerk, das Online-Ausgaben von Psychiatriezeitschriften bereithält.

Die Berliner Irren-Offensensive gibt Tips, wie man sich aus der Psychiatrie befreien kann, im Lüneburger Narrenspiegel finden sich beispielsweise Dosierung von Psychopharmaka, Nicht ohne uns aus Jena berichtet über neueste Studien zum Thema ‘Schizophrenie und Genforschung’, und das Berliner Stimmenhörenjournal informiert über diese noch junge Selbsthilfebewegung.

Cyber-Berater

Professionelle Helfer bieten Internet-Beratung häufig per Email an, aber auch Chatten ist möglich. Seriöse und wissenschaftlich fundierte komplette Cyber-Therapien finden sich im Netz jedoch kaum: Meist beschränkt sich die psychologische Beratung auf einen gemailten Ratschlag oder die Vermittlung an Hilfseinrichtungen vor Ort. Sowohl Therapeuten als auch Pfarrer und psychosoziale Einrichtungen bieten eine solche (nicht immer kostenlose) Kurzberatung an, die vielleicht Leuten entgegenkommt, die angesichts einer psychologischen Praxis von Schwellenangst befallen werden oder denen die Orientierung im Dschungel der Therapierichtungen fehlt. Manchmal entwickelt sich aus einem EMail-Erstkontakt auch ein längerer Gedankenaustausch.

Bei kommerziellen Angeboten steht vor der ersten Antwort des Beraters allerdings die Zahlung per Überweisung oder Kreditkarte. Wer sonst bevorzugt über das Telefon berät, kann sich besonders gut auf das Medium Internet einstellen. Die Kathologische Telefonseelsorge Köln, eine gemeinnützige Einrichtung, berät beispielsweise generell gebührenfrei, ob man Telefon oder am Computer. Die Homepage zeigt zwei Möglichkeiten auf, mit den Mitarbeitern in Kontakt zu treten: Email oder Chat.

Anfragen sollen innerhalb von 24 Stunden eine Antwort erhalten. Wer einen intensiveren Dialog wünscht, bekommt nach der ersten Rückmeldung höchstens einmal pro Woche eine weiter Mail. Dabei kann durchaus eine Art therapeutische Beziehung entstehen. Entscheidet sich der Hilfesuchende für die Kommunikation per Chat, so hat er die Möglichkeit, an zwei bis drei Abenden pro Woche jeweils maximal vier Stunden einen Mitarbeiter zu konsultieren – meist als Zwiegespräch das kein Dritter mitlesen kann.

Eine Untersuchung über die Nutzer der Internet-Telefonseelensorge ergab, daß die meisten Ratsuchenden Männer sind und es sich selten um Studenten handelt, die ansonsten im Netz sehr stark vertreten sind. Vielmehr sind es überwiegend Berufstätige, die zu Ehe- und Partnerproblemen, Einsamkeitsgefühlen oder sexuellen Themen Beratung suchen. Gerade bei der Beratung zu sexuellen Fragen ist es wichtig, seriöse Angebote von eher unterhaltungsorientierten wie Ask Dr. Love zu unterscheiden. Neben dem österreichischen FemWien bietet sich besonders Sextra als kostenloser Emailberater an.

Dieses Projekt entstand aus der gleichnamigen Rundfunksendung im SDR3, die aus Sexualinfos, Telefonhotline und Popmusik bestand. Das Interesse des zumeist jugendlichen Publikums an der Sendung war so überwältigend, daß die Initiatoren im Internet eine Entlastungsmöglichkeit sehen. So können qualifizierte Berater aus dem gesamten Bundesgebiet je nach Kompetenzbereich Anfragen per Email entgegennehmen, die sich oft auf Dr.-Sommer-Niveau bewegen: ‘Wie lange dauert ein Sex-Akt?’,

‘Dürfen Cousin und Cousine sich lieben?’ oder ‘Wie lang muß der Penis sein, damit man eine Frau ordentlich befriedigen kann? In der Bravo Schreiben sie immer, daß es egal ist. Aber ich kann das nicht glauben.’ Um die Mailflut zu vermindern, läßt sich mittlerweile eine FAQ-Datenbank einsehen, in der die wichtigsten Themen behandelt sind.

Rat gegen Cash

In den USA sind kommerzielle EMail-Beratungsangebote häufiger anzutreffen. Dahinter stecken in der Regel Psychotherapeuten, die auch eine normale Praxis betreiben. Ihre Seriosität weisen sie dadurch aus, daß sie (hoffentlich echte) Zeugnisse oder Zertifikate auf ihrer Homepage veröffentlichen und auf eine langjährige Erfahrung in der Praxis hinweisen. Ein weiteres Indiz für fachkundige Beratung kann ein umfangreiches Informationsangebot über Diagnosen, Störungsbilder und Therapieansätze sein, mit dem manche Netztherapeuten ihre Website füllen.

Der Psychotherapeut Leonhard Holmes wollte mit seiner Homepage zunächst nur für seine Praxis werben. Daraufhin erhielt er Anfragen von Hilfesuchenden, die bald ein derartiges Ausmaß annahmen, daß ihre Beantwortung zur richtigen Nebenbeschäftigung wurde. Dabei will er keine längerfristigen therapeutischen Beziehungen aufbauen, sondern beschränkt sich meistens auf eine einzige Antwort.

Er berechnet seine Kosten nach dem zeitlichen Aufwand, derzeit 1,50 US-Dollar pro Minute, wobei der Ratsuchende jedoch eine Höchstgrenze angeben kann. Eine Beratung zum Pauschal preis von 34,95 Dollar bietet Dr. Tracy Cabot – vor der Antwort steht die Abbuchung von der Kreditkarte. Die Therapeutin beschränkt ihre Antwort auf 200 Wörter und verspricht, innerhalb von zwei Tagen auf eine Email zu antworten.

Wer ein Beratungsgespräch am Telefon bevorzugt, muß einen Stundensatz von 150 Dollar kalkulieren. Auch im deutschsprachigen Raum finden sich inzwischen die ersten Angebote dieser Art. Eva Theiss aus Kaiserslautern bietet eine tiefenpsychologische Traumanalyse per Email. Umfassender ist das ‘Vier-Schritte-Programm zur psychologischen Online-Sprechstunde’ des Schweizer Psychotherapeuten Piero Rossi.

Der Ratsuchende beschreibt zunächst seine Probleme in einem Formular. Daraufhin erhält er eine Antwort-Mail mit ersten Feststellungen, Rückfragen sowie Tarifinformationen. Entscheidet er sich daraufhin, die Beratung in Anspruch zu nehmen, so werden 120 Mark fällig. Rossi schickt dann eine ausführliche Stellungnahme per Email. Alternativ bietet Rossi auch eine Beratung per Chat, 15 Minuten für 47 DM.

Neben der Veröffentlichung seines Diploms belegt Rossi seine Seriosität durch den deutlichen Hinweis auf die Grenzen einer Online-Beratung: Sie ersetze keine ärztliche oder psychologische Therapie, sondern könne lediglich eine Ergänzung und Erweiterung herkömmlicher Beratungsformen sein. Zudem betont er, daß bei Angststörungen, Depressionen oder Krisen mit Selbstmordgefahr ein persönlicher Kontakt zu einem Fachmann erforderlich ist.

Zudem weist der Schweizer Psychologe auf das Problem der Datensicherheit hin und rät, sehr intime Anliegen zu verschlüsseln, was er ausführlich erklärt. Eine Art Gemeinschaftspraxis im Internet stellt die deutschsprachige Psychologische Beratung Online dar. Ein Gesprächs- und Verhaltenstherapeut trägt das Angebot zusammen mit einer Kollegin die darüber hinaus noch eine Zulassung als systemische Familientherapeutin hat.

Ihr Beratungsangebot richtet sich vorwiegend an Menschen in schwierigen Lebenssituationen, etwa bei Scheidungen, Beziehungsproblemen, Ärger am Arbeitsplatz oder Jobverlust. Für moderate 40 Mark werden die beiden tätig; jede weitere Email kostet 15 Mark. Das Team hat mittlerweile ein Jahr Internet-Beratung hinter sich. Sie sehen ihre Tätigkeit kritisch.

Zu viele non-verbale Informationen gingen im Online-Kontakt verloren – Kommunikation ist eben nicht nur der Austausch von Wörtern. Zudem müsse sich der Hilfesuchende mit einer eher allgemein gehaltenen Antwort zufriedengeben, da wichtige Anhaltspunkte für eine speziellere Hilfe fehlen würden, die im persönlichen Gespräch gegeben wären. Diese Mankos versuchen die Netzpsychologen durch den Einsatz von klinischen Fragebögen auszugleichen.

Cyber-Therapie

Bis die Bandbreite des Internet ausreicht, um klassische Ängste wie Spinnenphobie und Höhenangst mit einem Virtual-Reality-System wegzutrainieren, dürfte noch einige Zeit vergehen – solche technisch aufwendigen Verhaltenstherapien auf Softwarebasis existieren zwar schon, stehen allerdings nicht der Internet-Öffentlichkeit zur Verfügung.

Genügsamer ist ein Selbsthilfeprogramm für Menschen, die unter quälenden Zwängen wie unkontrollierbarem Waschen oder Zählen leiden: BTSteps ist der Titel dieser Software, die zur Zeit von englischen und US-amerikanischen Vehaltenstherapeuten für das Internet entwickelt wird. Der Patient gibt seine Symptome ein und erhält Schritt für Schritt Hilfe zur Selbsthilfe. Dem Normalsurfer steht das Programm jedoch noch nicht zur Verfügung.

Mit Ängsten beschäftigt sich auch das Interapy-Projekt der Universität Amsterdam, das mit psychisch kranken Studenten getestet wurde. Den Ausgangspunkt bildete eine Schreibtherapie, die in eine persönliche Behandlung bei einem Psychotherapeuten eingebunden war. Nun wollen die Forscher herausfinden, ob diese Art von Therapie auch per Email ohne den unmittelbaren Kontakt zum Therapeuten möglich ist.

Die Patienten werden angehalten, fünf Wochen lang zweimal pro Woche in einer Email zu notieren, was sie belastet. Der Therapeut antwortet daraufhin mit einer Mail, in der er weitere Anleitungen gibt, also etwa dazu auffordert, die Ängste näher zu beschreiben. Experten sind sich jedoch einig, daß eine Behandlung ausschließlich im Internet nicht möglich ist.

Denn zur Therapie gehört auch der persönliche Kontakt: Man muß miteinander sprechen, sich sehen und alle Ebenen des menschlichen Ausdrucks berücksichtigen, wenn eine tragfähige Beziehung zwischen dem Hilfesuchenden und dem Therapeuten entstehen soll. Der Kontakt über das Internet ist jedoch auf den Austausch von schriftlichen Mitteilungen beschränkt; dem Therapeuten fehlen also non-verbale Hinweise.

Zudem kann es durch die zeitliche Verzögerung zu Fehlinterpretationen seitens des Therapeuten kommen, und die Vertraulichkeit der Emails ist nicht gesichert: Wer nicht mit der aktuellen Verschlüsselungstechnik vertraut ist, muß in Kauf nehmen, daß es nicht bei vier Augen bleibt. Generell ist es fragwürdig, ob eine zuverlässige Diagnose und eine anschließende erfolgreiche Therapie allein durch einen Netzkontakt möglich ist.

Gesicherte Erkenntnisse gibt es dazu bislang nicht. In der Regel zeigt sich jedoch, daß Ratsuchende nicht allein das Internet nutzen, um ihre Probleme zu bewältigen. Häufig haben sie persönliche Kontakte zu klassischen Selbsthilfegruppen und Therapeuten. Somit bietet das Internet vor allem eine erste Anlaufstelle bei psychischen Schwierigkeiten:

Der Betroffene kann sich etwa im über die verschiedenen Formen von Psychotherapie informieren, in einer Online-Selbsthilfegruppe Unterstützung suchen oder einen ersten Kontakt zu einem professionellen Helfer aufbauen. Um eine qualifizierte Antwort zu erhalten, sollte er sich aber der Seriosität des Beraters versichern. Gerade für Menschen, die im unmittelbaren Umfeld keine Selbsthilfegruppen oder Therapeuten finden oder sie wegen einer Behinderung nicht nutzen können, bietet das Internet ein einzigartiges Potential. Außerdem kommt das Medium denen entgegen, die Berührungsängste mit Therapeuten haben. Viele können in schriftlicher Form leichter etwa von sich preisgeben.